Trivia: Warum "Naher Osten" im Englischen "Middle East" heißt

1. Die Perspektive macht den Namen

  • "Naher Osten" (deutsch) und "Middle East" (englisch) bezeichnen dieselbe Region – aber aus unterschiedlicher Perspektive:
    • Deutsch: "Nah" bezieht sich auf Europa (historisch aus mitteleuropäischer Sicht).
    • Englisch: "Middle" (Mitte) bezieht sich auf den Standort zwischen "Near East" (z. B. Türkei) und "Far East" (Ostasien) – eine Einteilung, die im 19. Jahrhundert von britischen Kolonialbeamten geprägt wurde.
    • Arabisch: Die Region heißt "الشرق الأوسط" (ash-Sharq al-Awsat), was wörtlich "mittlerer Osten" bedeutet – aber aus arabischer Sicht ist sie einfach "der Osten" (al-Mashriq).

2. Warum nicht wörtlich übersetzen?

  • Eine wortgetreue Übersetzung ("Middle East" → "Mittlerer Osten") wäre irreführend, weil:
    • Der deutsche Begriff "Naher Osten" ist etabliert und umfasst Länder wie Ägypten, Israel, Libanon, Syrien, Irak, Iran, Saudi-Arabien etc.
    • "Mittlerer Osten" würde im Deutschen falsche Assoziationen wecken (z. B. zu Zentralasien).

3. Weitere Beispiele für "perspektivische" Bezeichnungen

Deutscher Begriff Englische Bezeichnung

Hintergrund

Fernost Far East Aus europäischer Sicht "fern"; in China heißt es "东亚" (Dōngyà, "Ostasien").
Balkan The Balkans Abgeleitet vom türkischen "Balkan" ("bewaldetes Gebirge") – für Südeuropäer ist es einfach "die Halbinsel".
Amerika America Benannt nach Amerigo Vespucci, aber in vielen Sprachen (z. B. chinesisch "美国", Měiguó) heißt die USA schlicht "schönes Land".
Indien India Der Name stammt vom Fluss Indus (altgriechisch Indós). Auf Hindi: "भारत" (Bhārat, nach einem mythologischen König).
Grönland Greenland

Der Name ("grünes Land") stammt von Wikingern (Marketing-Trick!), während die Inuit es "Kalaallit Nunaat" ("Land der Menschen") nennen.

Australien Australia Lateinisch für "Südland" – aus europäischer Sicht. Die Aborigines nennen es "Uluru" (für den berühmten Felsen) oder "Turtle Island" (in einigen Traditionen).

4. Warum das wichtig ist

  • Kolonialgeschichte: Viele Bezeichnungen stammen aus der europäischen Kolonialzeit und spiegeln Machtverhältnisse wider.
  • Kulturelle Identität: Lokale Namen (z. B. "Bharat" für Indien) betonen Selbstbestimmung gegenüber fremden Begriffen.
  • Politische Konnotationen: Der "Naher Osten" wird im Deutschen oft mit Konflikten assoziiert, während "Middle East" neutraler klingt.

5. Kuriosität: Wer entscheidet die Namen?

  • Offiziell: Die UNO standardisiert geografische Bezeichnungen (z. B. in der UNGEGN).
  • Umstrittene Fälle:
    • MazedonienNordmazedonien (nach Streit mit Griechenland).
    • Burma vs. Myanmar (politisch motivierter Namenwechsel).
    • Türkei vs. Türkiye (seit 2022 offizielle Schreibweise auf Englisch).